“Schämst Du Dich nicht…?”, Du hast diesen Satz bestimmt schon oft in Deinem Leben gehört. Und, hast Du Dich dann auch geschämt? Ich finde das Gefühl der Scham ist es wert, einmal genauer unter die Lupe genommen zu werden. Was ist Scham, wie entsteht sie, wie kannst Du sie vermeiden oder für Dich nutzen. Das sind die Fragen, um die es in diesem Artikel geht.
Scham – eine Definition
Das Gefühl der Scham entsteht durch das Bewusstsein, in moralischer Hinsicht versagt zu haben. Es ist das Gefühl, sich eine Blöße gegeben zu haben. Dadurch wird eine quälende Empfindung ausgelöst. Die Anlässe für das Gefühl der Scham variieren je nach Umgebung. Es mag sozialisations- und kulturbedingt, oder entsprechend der individuellen Veranlagung und der aktuellen Befindlichkeit entstehen. Dasselbe gilt für die Intensität der Empfindung, die sich redensartlich vom „peinlichen Berührtsein“ bis zum „Im-Boden-Versinken“ erstrecken kann.
Das Wort “Scham” geht über das Wort schame (mittelhochdeutsch) → scama (althochdeutsch) → auf das germanische Wort skamo „Schande, Beschämung“ zurück. Das Wort Scham ist seit dem 8. Jahrhundert schriftlich belegt. Im deutschen Sprachschatz entwickelte sich die Bedeutung des Schamgefühls auch als ein Begriff für die verhüllende Bezeichnung der Geschlechtsteile.
In der Wortfamilie des Schamgefühls finden sich Begriffe wie Verlegenheit, Befangenheit, Schüchternheit, Peinlichkeit, Kränkung, Schmach und auch das Minderwertigkeitsgefühl. Das sind allesamt negativ besetzte Begriffe, die oft mit Schuld zu tun haben. Schambesetzte Schuldgefühle resultieren aus Gewissenskonflikten.
Auch berühmte Künstler wurden Opfer der Scham. Michelangelo malte im Altargemälde der Sixtinischen Kapelle im Bewusstsein seiner künstlerischen Freiheit über 400 weitgehend nackte Figuren. Schon der nächste Papst Paul IV. kritisierte diese „schamlos“ nackten Figuren. Er beauftragte den Maler Daniele da Volterra mit der Übermalung der Schamteile. Diese Übermalungen mit Lendenschürzen retteten das Gemälde vor der Zerstörung. Erst im Zuge der 1990 bis 1994 durchgeführten Restaurierung wurde ein Teil dieser Übermalungen wieder entfernt.
1857 erhielt die englische Königin Victoria von einem italienischen Herzog eine Kopie des David von Michelangelo geschenkt. Die Queen war von der Nacktheit der Skulptur so schockiert, dass sie das Geschlecht der Figur mit einem Feigenblatt bedecken ließ. Ähnlich verhält es sich mit den meisten Statuen aus der Römerzeit, die in den vatikanischen Museen ausgestellt sind. Die Moralvorstellungen der Kirche ließen es nicht zu, diese Form von künstlerischer Nacktheit zu zeigen. Im 18. Jahrhundert wurden deshalb die Geschlechtsteile abgeschlagen und Feigenblätter aus Marmor angebracht.
In meinem Besitz befindet sich ein Gemälde aus dem 19. Jahrhundert. Es zeigt Kain, der soeben Abel erschlagen hat. Wie Du unschwer sehen kannst, wurden Kains Geschlechtsteile ausgelöscht, Abel jedoch blieb “bestückt”. Auf die Frage nach dem Grund der Auslöschung bei Kain, jedoch nicht bei Abel erhielt ich zur Antwort: “Ja, der Abel ist ja auch schon tot!” Er wurde also zu einem Gegenstand, dem keine Scham mehr zuteil werden konnte.
Es sind die geschichtlich entwickelten, anerzogenen und übernommenen Moralvorstellungen der Gesellschaft, in der Du lebst, die den Grad Deiner Scham prägen. Im Laufe Deines Lebens können sich diese Vorstellungen bei Dir oder in der Gesellschaft durchaus ändern oder gar ersetzt werden.
Dass das Schamgefühl je nach Kulturkreis von unterschiedlichen Faktoren ausgelöst wird, zeigt Daniel Fessler in einer Studie. Er legte zwei Probanden-Gruppen aus Indonesien und Kalifornien eine Liste mit 52 Gefühlen vor. Die Teilnehmer sollten diese Gefühle nach Bedeutsamkeit sortieren. Bei den Asiaten lag Scham auf Platz zwei, bei den Amerikanern landete sie auf Platz 32.
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Scham im kulturellen Kontext
In den meisten asiatischen Ländern ist man sehr bemüht, das Gesicht zu wahren. Wer das Gesicht verliert, schämt sich. In Japan ging diese Scham so weit, dass sie zum Seppuku (Selbstmord) führte. Die Amerikaner haben da ein eher entspanntes Verhältnis zum gesellschaftlichen Schamgefühl. Sie finden andere Emotionen bedeutsamer.
In einem anderen Kontext habe ich die Japaner als sehr freizügig in Bezug auf ihre Nacktheit wahrgenommen. Beim gemeinschaftlichen Baden in einer heissen Quelle bewegt man sich völlig selbstverständlich nackt in der Gruppe miteinander. In abgelegenen Landesteilen ist es sogar noch üblich, die von den Amerikanern nach dem 2. Weltkrieg eingeführte Geschlechtertrennung zu ignorieren. Männer und Frauen baden freizügig und nackt miteinander. Das ist in Amerika völlig anders. Ich habe dort noch keine Sauna besucht, in der Nacktheit üblich wäre. Dort wird mit Badehose sauniert.
Ähnlich verhält es sich mit dem Schmatzen. In unserer westlichen Gesellschaft wird jedes Kind dazu erzogen, mit geschlossenem Mund zu essen. Schmatzen gilt als unappetitlich. Ganz anders in Japan und China. Dort wird eine Schale mit köstlicher Nudelsuppe laut schlürfend genossen. Eigentlich ist das ja logisch. Die eingezogene Luft befreit die Geruchsstoffe und verwirbelt sie retronasal zu einem sehr viel intensiveren Geschmackserlebnis. Probiere es ruhig einmal im stillen Kämmerlein aus. Ein weiteres Beispiel aus dem Essenskontext: In unserem Kulturkreis signalisiert der leer gegessene Teller, dass es Dir gut geschmeckt hat. In Japan, Thailand oder China signalisiert der leere Teller entweder eine peinliche Verfressenheit oder weiteren Hunger.
Geschenke öffnen die Briten nicht gerne in Gegenwart anderer, um eine peinliche Reaktion zu vermeiden. Chinesen dagegen lassen sogar das Preisschild dran. So zeigen sie dem Beschenkten, wie viel er ihnen wert ist. Das gilt auch bei einer Einladung zum Essen in China. Nur das Beste und Teuerste kommt auf den Tisch. Der ausgegebene Betrag wird mit dem Grad der Wertschätzung gleichgesetzt. In unserem Kulturkreis wäre so ein Verhalten eher beschämend. Es würde als protzig empfunden.
Diese Beispiele zeigen Dir: Das Schamgefühl ist international. Wie sich die Scham zeigt, an welchen Situationen sie sich festmacht, das ist jeweils stark kulturell geprägt und oft sehr verschieden. Das haben auch die Philosophen gemerkt.
Für Friedrich Nietzsche ist die Befreiung der Scham vor sich selbst der Gipfel der persönlichen Freiheit. Mit diesem Postulat richtet er sich gegen die gesellschaftlich festgelegten, moralischen Instanzen, Bereits 1891 thematisierte Frank Wedekind in seinem Drama “Frühlings Erwachen” das Erwachen jugendlicher Sexualität, die Scham bei der Masturbation und bei homosexuellen Neigungen. Er schrieb eine Kindertragödie die Gefühle und Folgen der Scham in unterschiedlichen Facetten literarisch behandelt.
Scham – wie hältst Du es damit?
Ich finde, es sollte an der Zeit sein, Dir über Deine Gefühle der Scham einmal Rechenschaft abzulegen. Du kannst davon ausgehen, dass Scham immer dann auftritt, wenn Dir im Verlaufe der Entwicklung Deiner Persönlichkeit moralische Grenzen aufgezeigt werden. Besonders deutlich wird dies im Umfeld der Sexualität. Scham ist ja nicht immer schlecht. Sie hilft Dir, Grenzen zu erkennen und das kann auch positive Folgen haben.
Wie wäre es also, wenn Du Dir ein paar der nachfolgend gestellten Fragen beantwortest, oder mit guten Freunden eine ehrliche Diskussion darüber führst. Hier eine kleine Liste:
- Wie steht es mit Deiner Nacktheit, wenn Du alleine vor dem Spiegel stehst?
- Kannst Du Dich mit guten Gefühlen im Spiegel betrachten – und gefällt Dir, was Du siehst?
- Bist Du unabhängig genug, Meinungen zu äußern, die von Deinen Freunden, Kollegen und Deiner Familie abweichen? Oder schämst Du Dich für Deine abweichende Meinung.
- Fühlst Du Dich wohler, wenn Du beim Sex das Licht ausgemacht hast? Oder könntest Du vielleicht Deine Neigung zum Exhibitionismus so sehr einschalten, dass es keine Rolle spielt, wie viele Menschen Dir bei intimen Handlungen zusehen…
- Schämst Du Dich ganz allgemein für Deine Existenz und das, was Du tust? Vielleicht findest Du Komplimente zu und über Deine Person unangebracht, weil unwahr. Das kann in die toxische Scham münden, ein Gefühl, das Dich auf Dauer krank machen kann.
Mit diesen Fragen wollte ich Dir ein Bewusstsein dafür vermitteln, wo für Dich die Grenzen Deiner Scham gesetzt sind. Es könnte ja durchaus sein, dass Du entdeckt hast, dass in vielen Bereichen das Gefühl der Scham eher hinderlich ist. Das muss nicht heissen, dass Du gleich unverschämt wirst. Das kann bedeuten, dass Du das Gefühl der Scham nach Deinen Bedürfnissen modifizierst. Dazu kannst Du einfache NLP Techniken nutzen.
Tausche das nutzlose Gefühl der Scham einfach gegen ein wirklich positives Gefühl aus. Frage Dich: Welches Gefühl bringt mich in dieser Situation weiter, als das negativ besetzte Gefühl der Scham. Nutze zum Tauschen das “Swish Pattern“. So steuerst Du selbstbestimmt jene Gefühlsreaktionen, denen andere Menschen ausgesetzt sind. Ich wünsche Dir viel Erfolg und eine Menge an Einsicht.
Nun bist Du dran: Hand aufs Herz, schämst Du Dich für Deinen Körper oder Dein Verhalten? Oder hast Du Dich unabhängig von der Meinung anderer gemacht. Schreibe mir in den Kommentaren.
5 Responses
Hi,
ich schäme richtig stark wegen meiner Krankheit und den daraus resultierenden Ehr und Gesichtsverlust und die Schwäche daraus. Ich konnte nie richtig arbeiten weil ich bereits mit 17 Jahren Krank ( Behindert ) wurde. Ich verachte diese Krankheit und bekomme es kaum über den Mund bei Menschen von früher oder neuen Bekanntschaften…..Heute probiere ich mal die Swiss Pattern…Danke Chris
Nun, ich schäme mich nicht (mehr) für meinen Körper und habe gelernt ihn zu lieben so wie er ist sowie im dankbar zu sein – auch für all das, was er mir (immer mal wieder) verzeiht. Mein Körper ist oft so viel schlauer als mein “Hausmeister” (der Verstand).
Von der Meinung anderer unabhängig zu SEIN, da BIN ich “dran” und “es” wird mit der Zeit immer besser – ich übe (noch) sozusagen ;-))
Hi Chris!
Vielen Dank für den interessanten Artikel. Ich frage mich schon seit Langem, was mich häufig davon zurückhält, eine Frau das erste Mal zu küssen. Ich hatte jetzt lange den Gedanken, dass ich von jemandem eine Erlaubnis benötige, wusste bloß nicht von wem. Mit diesen Gedanken ist der Kontext vielleicht ein ganz anderer. Vielleicht spielt das Gefühl von Scham mit rein, so dass ich mir einfach selbst die Erlaubnis nicht gebe, weil X oder weil Y (nimm beliebigen an den Haaren herbeigezogenen Grund).
In Japan ist übrigens Schmatzen nicht völlig erlaubt, man macht das tatsächlich ausschließlich bei Ramen- und Udon-Nudeln. Ansonsten ist die Etikette wie in Deutschland, der Mund ist beim Essen geschlossen :)
Liebe Grüße
Jens
Unverschämt gut!
Sehr spannend und informativ! Danke, Chris!